Mittwoch, 29. Oktober 2008

Konzert, Kuhkampf und Kampfköter

Aus einem Tag sind sieben geworden, doch jetzt kommt die mit Sicherheit lang erwartete Fortsetzung von "Pastis, Pizza und Palaber", ebenfalls mit einer einmal mehr unglaublichen Alliteration à la BILD tituliert.
Reeewind! Ich war beim Vortrag Jean-Pierres stehen geblieben, bei dem fast nur Leute aus der Cimade anwesend waren, u.a. auch Youssef, der mich für den damals kommenden, inzwischen vergangenen Samstag einlud, seine Aufenthaltsgenehmigung zu feiern. Nachdem die Veranstaltung beendet war, machten wir - Sebastian aus Béziers und ich aus Marseille - uns in Richtung "La Joliette" auf, ein Viertel, das im Rahmen des Projekts "Euromediteranée" entstanden und vor lauter Kälte in den Straßen die pralle Sonne am Himmel (fast) vergessen lässt.
Weil wir ausreichend Zeit hatten, gingen wir zu Fuß, und weil ich noch nie in der Joliette war, verliefen wir uns. Eine Disziplin, in der ich inzwischen anerkannter Großmeister bin. So konnten wir aber auch die alten Ecken des Viertel sehen, die ihrem Aussehen und dem Müll in der Gosse nach zu schließen nicht unbedingt von der Bourgeoisie bewohnt werden.
Irgendwann und trotzdem immer noch zu früh, kamen wir an den Docks des Suds an, wo später Jazz-/Funk-Legende Herbie Hancock und Soul-Hoffnung Nneka auftreten sollten. Eigentlich ein Vergnügen, das meinen Hartz IV-Geldbeutel zumindest belasten würde, da das Fuchstum jedoch in meinen Genen nachweisbar ist, bezahlten wir jeweils nur 5 €, zumindest für die Tickets...
Das Festival erinnerte mich sehr an das ZMF, obschon es weder Zelte noch Bambinilauf gab, geschweige denn den gefürchteten Regen. Ganz im Gegenteil: Auch Mitte Oktober lässt sich hier ganz ausgezeichnet eine Open-Air-Veranstaltung durchführen, ohne dass man um seine Extremitäten bangen muss.
Die Bühne lag an einem nicht ganz gewöhnlichen Ort: Unter einer Autobahn-Passerelle, was überraschenderweise keinen negativen Einfluss auf den Sound hatte.

Nachdem Hancock sein Konzert mit seinem größten Hit Chameleon beendet hatte, zogen wir ein Bisschen über das überfüllte Gelände und endeten an einer seltsamen, umzäunten Manege. Ein provenzalischer Cowboy mit Hut und Akzent versuchte sich als FatmanScoop und brüllte allerlei Nichtaussagendendes in ein Mikrofon, das er zeitgleich anscheinend zu verschlingen suchte. Im Ring waren knapp zehn Jugendliche, die wohl allesamt einen auf dicke Hose machten, weil sie... Ja, weil sie einen Sport betreiben, dessen Namen ich nicht kenne, der aber offensichtlich traditionell Provenzalisch ist und bei dem es darum geht, einer jungen Kuh auf den Kopf zu hauen, ohne von dieser auf die Hörner genommen zu werden. Hört sich komisch an, is aber so.
Nach einigen Minuten wurde das arme Tier dann auch freigelassen, scharrte einige Male mit den Hufen und los ging die wilde Auf-den-Kopf-Hauen-und-Abhauen-Action. Nachdem vier Runden das Tier die berüchtigten Schläge auf den Hinterkopf abbekommen hatte, ohne sichtbar von einer Erhöhung des Denkvermögens zu profitieren und auch keinen der Dicke-Hose-Kerle erwischt hatte, wurden die Zuschauer aufgefordert, doch auch mal mitzumachen. Und da der gemeine Marseillais natürlich auch zeigen muss, wie dick seine Hose ist, war der Käfig auf einmal prall gefüllt mit Dicken, Kleinen, Baggyhosenträgern und sonstigen wenig kampferprobten. Die Kuh kam endlich auf ihre Kosten und durfte die Flüchtenden von der Funktionsweise ihrer Hörner überzeugen. Gottseidank.
Nach diesem überraschenden, für mich als Veggie vom Dienst natürlich nur schwer auszuhaltenden Kuhkampf ging es zum letzten Konzert des Abend - Nneka. Als diese versuchte, dem versammelten Franzosentum vor ihr etwas über die böse Welt, die natürlich nur Jah retten kann, zu übermitteln, dieses aber weiter gröhlte und klatschte, entschuldigte sie sich: "I know you don't understand me, I'm sorry that I don't speak French, but please listen." - Reaktion: Lauteres Gegröhle und Geklatsche. Gelernte Lektion: Vorurteile sind also doch fast immer wahr, so wie jenes über die Nichtbeherrschung der englischen Sprache seitens des Franzosen. Wunderbar diese Welt! So lässt sich's einfach leben.
Im Folgenden könnte ich eine halbe Stunde über das (quasi nicht-existente) öffentliche Verkehrsnetz Marseilles schreiben, ich lasse es aber. Es sei nur soviel gesagt: Weil es nach 0.30 war, mussten wir die knapp 10km von der Joliette nach St. Julien zu Fuß bestreiten. Eigentlich. Wir benutzten nämlich unseren Daumen, um die Füße zu schonen und probierten es mit der guten, alten Tramperei. Als Moralapostel Numero Uno konnte ich es natürlich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, einen dicken SUV um unsere Mitnahme zu bitten, zog meinen Daumen wieder ein und hoffte auf das - gerade in Frankreich - ja eh nie kommende solarbetriebende Gutmenschenmobil. Sebastian kannte da weniger Skrupel und hatte somit mehr Erfolg. Ein pakistanischer Restaurant-Besitzer nahm uns also in seinem Prollschlitten mit, der aber alsbald in einen Gangsterschuppen verwandelt werden sollte - denn was ist mehr Gangsta als 2Pacs "Hit 'em Up", das der mir urplötzlich äußerst sympathische Fahrer auflegte und mein Herz um drei Etagen höher schlagen ließ. So ging es also mit mind. 80 km/h die Avenue du 25 avril 1915 hinauf und an der Ampel fehlte nur noch das obligatorische Driveby, um mich vollkommen als O.G. zu fühlen. Abgesetzt direkt vor der Haustür und vollgepumpt mit Adrenalin ob des ereignisreichen Abends, ging es direkt in die Heia, die auch als Aufenthaltsort bis zum nächsten Mittag dienen sollte. Grade aufgestanden gab es auch schon ein großes Essen mit allerlei Freundinnen von Martine. Einer hatte ihren Sohn mitgebracht, der mich als Veteranen und Kenner mit seiner Playmobilsammlung kaum beeindrucken konnte. Für größere Hektik sorgte der anwesende und - wie sollte es auch anders sein - unglaublich hässliche Kampfhund, der nicht nur jedem Anwesenden auf den Schoß sabberte, sondern auch ein Auge auf CouCou und Yollande, unsere beiden Hühner, geworfen hatte. Sein Interesse galt jedoch nicht der Beteiligung an der Eierproduktion, vieleher wollte er diese durch einen gezielten Biss in den Hals der Gackernden verhindern. Ist aber nicht so weit gekommen durch den heldenhaften Einsatz einiger Gäste. Nachdem Sebastian noch zum Abschied einen TetraPak-Geldbeutel geschenkt bekam, fuhren wir in die Stadt runter, guckten uns das Stade Vélodrome von außen an (ich eine Woche darauf übrigens von innen) und fuhren auf der Corniche Richtung Zentrum und Bahnhof, wo ich ihn zum Zug brachte, der ihn nach Béziers fuhr.

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