Dienstag, 31. März 2009

J(e m)'accuse

Je m'accuse... weil ich die lechzende Öffentlichkeit mitleidlos nicht an den letzten Wochen habe teilhaben lassen.

Je m'accuse... dreimal riesigen Spaß im Stade Vélodrome gehabt zu haben.










Je m'accuse... dabei die Hand Gottes nicht persönlich geküsst zu haben.











Je m'accuse... weil Wusi mir den Rang als Besitzer des schönsten Trainingsanzugs abgelaufen hat.












Je m'accuse... 5 € für einen Greifautomaten ausgegeben zu haben, ohne den OM-Bären geschnappt zu haben.










Je m'accuse... weil ich laut ASF-Responsable inzwischen einen Marseiller Akzent habe. Putäng de merde!

Je m'accuse... einen Monat eine zusätzliche bzw. zwei zusätzliche Mitbewohnerinnen zu haben bzw. gehabt zu haben.

Je m'accuse... dass ich Luxus-Skiurlaube auf 3600m Höhe erleben darf.










Je m'accuse... weil ich jetzt auch noch eine Zweitwohnung mit Meerzugang habe.

Je m'accuse... Radio- und Fernsehstar geworden zu sein.

Je m'accuse... weil ich bei der Arbeit immer wieder Interessantes, Schönes, Schockierendes erlebe.












Je m'accuse... weil ich für den Film "Welcome" nicht mehr Werbung machen kann, als ich es hiermit tue.









Je m'accuse... zur Zecke mutiert zu sein. Teilnahme an Gewerkschaftsdemos.










Je m'accuse... weil inzwischen einige Gäste von Garten und Ginette profitieren konnten. Darunter wohl aber niemand, der dies liest.

Je m'accuse... weil ich zwei Mal hier Auto gefahren bin und so mit meinem Leben und v.a. dem des Autos spiele.

Je m'accuse... andere Dinge im Kopf zu haben als die Erfüllung meiner Informationspflicht.

Veuillez m'excuser,

Emile Zola

Sonntag, 8. Februar 2009

Das Streiken ist des Franzmann' Lust, oder: Alltägliches

Don't call it a comeback... oder doch? Wie dem auch sei, ein Monat Blogabstinenz und wiederkehrende Gesuche um die Wiederaufnahme der Schreiberei lassen mich nun vor einer kaum zu bewältigenden geistigen Aufgabe stehen: einen knappen Monat mit vielen interessanten Momenten und Erfahrungen zusammenzufassen.
Fangen wir mit der Arbeit an. Weiterhin kümmere ich mich um die Post unserer Kunden, erkläre sie ihnen bei einer Tasse Kaffee und scheitere daran, französische Kreuzworträtsel zu lösen. Dabei bleibt es aber nicht. Wie von mir gewünscht und gefordert, nehme ich nun auch verstärkt an den Individualgesprächen teil, erarbeite gemeinsam mit einer weiteren Person den Asylantrag, stelle Recherchen über die jeweilige Situation im Herkunftsland an, etc. Die direkte Konfrontation mit diesen Schicksalen ist immer wieder bewegend und führt mir jedes Mal wieder vor Augen, was für ein Leben wir in Europa führen dürfen. Während andere aus ihrer Heimat vor Krieg und Elend fliehen, oft alles verloren haben oder dieses hinter sich lassen, dann während einer wahnwitzigen Odyssee ihr Leben auf's Spiel setzen, um in das vermeintlich Sicherheit bietende Europa zu gelangen und dort weiterhin Schikanen ausgesetzt werden, leben wir in (Mittel-)Europa seit sechzig Jahren in Frieden, ohne es noch wirklich wertzuschätzen. Wir müssen keine Angst haben, dass unsere Dörfer morgen von wütenden Reitermilizen abgebrannt werden, wir ins Gefängnis gesteckt und gefoltert werden, weil wir unsere Meinung sagen, oder mit der Machete einen Kopf kürzer gemacht werden, weil wir einer anderen Ethnie angehören. Wir haben das Glück, dass unsere größten Sorgen sind, wo wir nun das billigste Flugticket für den nächsten Karibikurlaub herbekommen - und ausreichend Unternehmungen zur Ablenkung haben, um zu vergessen, dass genau diese Flüge, diese Plastiktüten, diese Kiwis aus Neuseeland auch ein Grund sind, dass Menschen aus anderen Teilen der Erde ihre Heimat verlassen müssen, weil sie durch eine Naturkatastrophe oder einen Krieg um das immer knapper werdende Wasser verwüstet wird.
Nun aber genug der Moralpredigt, sondern lieber einen Filmtipp, um von Arbeit zu Freizeit überzuleiten.
"Ein Augenblick Freiheit" - einer der besten Filme, die ich die letzten Jahre gesehen habe. Bewegend, witzig, realistisch. Läuft seit knapp zehn Tagen hier in Frankreich, und ich denke, in Deutschland wird das ähnlich sein. Also reingehen und packen lassen.
Der Franzmann wird im Moment seinem Ruf als demonstrations- und v.a. streikwütiges Volk vollauf gerecht. Höhepunkt war ohne Zweifel der 28. Januar, als allgemeine Arbeitsniederlegung auf dem Programm stand. Nix ging mehr, ich musste nicht arbeiten und habe den Tage auf der Terrasse genossen. Aber auch darüber hinaus: Circa viermal hat der gesamte ÖPNV gestreikt, mal aus diesem, mal aus jenem Grund und im Moment fährt morgens und nachmittags keine Métro, weshalb auch immer. Dann wird täglich munter demonstiert, mal sind's die Lehrer, dann die Unis, dann die Kurden ("Libérez Ocalan"), Palästinenser ("Israel, assassin!") oder Israelis ("Hamas, terroristes!"). In den Straßen ist also immer genug geboten.

Pro-Palästina-Demo vor der Präfektur

Was sich sonst hier abgespielt hat? Ich mach's kurz wie Kurt. Ein ganzer Sonntag in Aix-en-Provence, dieses provenzalischen Freiburgs, das sich so sehr von Marseille unterscheidet, dass man nicht glaubt, nur 45km gen Norden gefahren zu sein;

Der Cours Mirabeau in Aix

HipHopTheater und KinoBesuche; Fußballnachmittage, bei denen ich der einzige Weiße bin und kein Wort versteh, weil nur Arabisch gesprochen bzw. gebrüllt wird; Besuche auf dem "Marché aux Puces" im 15. Arrondissement, der bei jedem ordnungsliebenden Deutschen wohl nur Schreikrämpfe auslöst und auf dem ausschließlich krassen Krempel zu kaufen gibt; Geburtstage mit deutschen (teilweise sogar Freiburger) Erasmus-Studenten; immer wieder die Suche nach einem Studienplatz, und zu guter Letzt (auch wenn ich die andere Hälfte wohl eh vergessen habe): zwei Konzertbesuche, zum einen trat Ayo in den Docks des Suds auf, und unverschämterweise wurde dort am Eingang meine Kamera konfisziert,













zum anderen gestern Abend das Check the Rhyme Festival, wo mal Baggy-Dickies und NY-Caps an der Tagesordnung standen und Jeru the Damaja, The Beatnuts, Tha Liks und Lords of the Underground auftraten. Dazu noch ein paar "Bush Killa"-Parolen vom selbsternannten "Black Panther of HipHop" und "Hard Truth Soldier" Paris führten zu einem durch und durch gelungenen Abend, der diesmal leider wieder im einstündigen Heimmarsch endete (die letzten Mal hatte ich Glück und konnte trampen). Heute Abend steht für l'OM das entscheidende Spiel gegen Bordeaux an, und ich hoffe als inzwischen sogar mit Fan-Shirt ausgestatteter Supporter, dass die Angelegenheit im "Vél" genauso gut wie im Dreisamstadion gelöst wird. Kommende Woche besuche ich dasselbe sogar, wenn nämlich Frankreich - Argentinien spielt. Nicht nur die Hand Gottes, sondern auch Wusi wird mich bei dieser Gelegenheit unterstützen, den Grad meiner Französisierung beim Schmettern der Marseillaise zu überprüfen.

Also, aux aaaaaaarmeeeees!

Eure Frooonck


...und Diego

Freitag, 9. Januar 2009

Apocalypse Now


Nach sechs Tagen Paris und deren 13 in Freiburg melde ich nach schon wieder sechs Tagen Marseille zurück.
Minimalrekapitulation des letzten Monats: Paris war mittelmäßig. Das erste Mal, dass ich dort war und die Stadt nicht am liebsten umarmen wollte - so wie es sich als aufrechter Marseillais eben gehört. Vielleicht lag es aber auch ganz einfach am grauen Himmel und dem genauso wenig farbenfrohen Seminar, das im Wesentlichen im Zeitabsitzen am Tage und Rotweintrinken am Abend bestand. Highlights? Mein Zimmergenosse Abdelkader aus Reims, der fünfmal am Tag den Gebetsteppich gen Mekka richtete, ein Zeitzeugengespräch und meine Tätigkeit als Undercoveragent im Pariser Prinzenpark, wo Paris St. Germain 4:0 gegen Twente Enschede im UEFA-Pokal gewann. Sonst zum Abhaken. Mund abputzen, weitermachen, sagt der talentierte Kickrhetoriker.
Freiburg war schön. Sehr schön.
Von Colmar aus ging es nach Marseille aus zurück. Im Nachtzug und mit Judith. Nach gefühlten einhundert Minuten Schlaf dann zurück in der Cité Phocéenne, todmüde. Also erstmal schlafen angesagt. Dann für die nächsten Tage Touri-Programm - das Panier, der Vieux Port, die Canebière, die Bonne Mère und die Corniche. Das alles bei angenehmen 12° Celsius.













Zudem bin nach fast drei Wochen Abstinenz wieder als Werktätiger anzusehen. Als Werktätiger, der sich am Montag über gleich zwei (!) positive Bescheide der OFPRA an einem Tag (!!) freuen durfte. Deshalb viel in Zeichensprache agiert, weil Russisch und Georgisch bis jetzt nicht zu meinen Stärken gehören.
Der Plan für Mittwoch war der folgende: Aufstehen, runterfahren, weiterfahren, ankommen. Und zwar in Aix-en-Provence. Daraus wurde aber nichts, denn der himmlische Vater sah etwas anderes für uns vor: die Apokalypse! Zumindest bedeuten 30 cm Schneefall dies für das öffentliche Leben hier. Kein Bus, keine Straßenbahn, kein Verkehr, keine Flugzeuge, keine Züge, keine Schule, keine Arbeit, teilweise kein Strom und keine Metro - Marseille im Ausnahmezustand. Das Rathaus rät, zu Hause zu bleiben, auf gar keinen Fall das Auto zu benutzen. Zwar war das weiße Wunder seit mindestens 48 Stunden angekündigt, glauben wollte aber keiner daran. Was hätte es auch gebracht? Was im Norden selbstverständlich ist, scheint hier wie von einem fremden Stern: Schneeräumfahrzeuge oder Enteisungsgeneratoren für die Oberleitungen z.B.
So hat sich also die ganze Stadt zu Fuß auf den Weg gemacht, hat gestaunt, gelacht, geredet. Die Hauptstraßen wurde von rivalisierenden Gangs besetzt, die sich eine Salve Schnee nach der anderen um die Ohren schoss bzw. warf. Auch wir wurden Opfer eines hinterhältigen Drive-By-Attentats - ohne bleibende Schäden gottseidank.
Auf dem erneuten Weg zur Bonne Mère dann die ersten Treffen mit Snowboard- und Skifahrern, die ihren Höhepunkt auf dem steilen Boulevard hoch zur Kirche fanden: Eine zur Sprungschanze umfunktionierte Mülltonne mit einer johlenden Menge außenrum und vielen Verrückten, die nicht nur auf Ski und Schneebrett, sondern auch auf Surfboard und Fahhrad den Hügel herunterjagten. Ganz großes Tennis ohne jeden Zweifel.


Oben trotz Nebels ein Blick über die Stadt, den so wohl nur wenige zu sehen bekommen haben: Zwar stimmt die Beobachtung Anna Seghers' in "Transit" durchaus noch, dass die Stadt "kahl und weiß" sei - diesmal ist es bloß das Weiß des Schnees und nicht das der Häuserwände.

Schneefall in Marseille heißt wie gesagt auch Bus- und Zugausfall in Marseille. Also liefen wir an diesem Tag um die 25km, erst die knapp 7km von St. Julien in die Innenstadt, später das ganze wieder hoch und zwischendurch eben durch die ganze Stadt. Weil der gesamte Zugverkehr für die Region Provence-Alpes-Côte-d'Azur eingestellt war, musste Judith noch einen Tag länger bleiben als ursprünglich geplant, und weil auch gestern keine Busse fuhren, durfte ich einen Tag mehr frei machen als eigentlich vorgesehen. Die Anarchie hat wirklich ihre guten Seiten!

In diesem Sinne,

Euer Michail Alexandrowitsch Bakunin

Sonntag, 14. Dezember 2008

Opus Magnum

Hier der Grund meiner wochenlangen Zurückhaltung: der epische, erste Projektbericht von mir. Wer hier ab und zu vorbeischaut, wird zwar schon vieles kennen, trotzdem viel Spaß.

Samstag, 29. November 2008

Burn, baby, burn


Sehnsüchtig erwartet und nun endlich da: Mesdames et messieurs, das erste brennende Auto. Und ich habe mich dafür nicht einmal gen Norden, wo die berüchtigte kärcherresistente "racaille" residiert, bewegen müssen, sondern das Spektakel fand keine 20m vor meiner Haustüre statt. Also Popcorn und Cola ausgepackt und Ghettofeeling aufgesogen. Die Frage, ob nun das wildgewordene Prekariat, ein Tourismusbüro, das auf Klientel wie mich setzt, oder nicht doch einfach ein ganz normaler technischer Zwischenfall der Grund für 45 Minuten gute Unterhaltung war, sei dahingestellt.
Die Feuerwehr hat sich jedenfalls ausreichend Zeit gelassen, mich beim ausgiebigen Glotzen & Gaffen nicht zu unterbrechen und braucht mind. dreißig Minuten, um anzurücken. Danach war's langeweilig, diese Schweine! Heute zeugt nur noch die nun pechschwarze Wand vom Geschehenen.

Putain, les pompiers!

Dienstag, 25. November 2008

Kinderzimmer Productions

Nachdem ich mich Samstag einmal mehr heldenhaft über Stock und Stein kämpfte, um des Müllers Lust zu fröhnen, dabei auch meine Qualitäten als Klettermaxe und Steh-Auf-Männchen (der Mistral windete, wie ich zuvor noch nie etwas habe winden sehen) beweisen konnte, legte es mich am Sonntag erstmal flach. Krank. Das erste Mal seit 'ner Ewigkeit. Hartes Los. Trotzdem konnte ich mich noch mit letzter Kraft in die beliebte Bar von nebenan schleppen und ein unterhaltsames 2:2 von OM gegen Lille angucken. Danach war es um mich geschehen.
Dafür kam die sehnsüchtig erwartete Kamera gestern an und im Folgenden sind die Produkte ihrer Entjungferung zu sehen. Mein Zimmer. Aufgeräumt. Blitzblanktiptop.


Der Blick aus meinem Zimmer


Mein bevorzugter Aufenthaltsort


Schreibtisch mitsamt meinem besten Freund. Wer genau hinguckt, findet sogar die unvermeidlichen Adiletten (mit Massagesohle!).


Soll nach Leseecke oder sowas aussehen, wird aber meist zur Kleiderablage umfunktioniert

Dienstag, 18. November 2008

The Big Picture

Hello again... hier bin ich wieder... wie so 'ne Katze, immer fünf, sechs Leben in der Hinterhand.

Auferstanden von den Toten oder zurück aus Freiburg, bacc in business in Marseille. Vor der Reise in die Alte Welt war ich, wie die Fotos hoffentlich eindrücklich beweisen, wandern; eine Tätigkeit, die in der trauten Heimat natürlich bis auf Letzte verschmäht wurde. Auch habe ich mir die "ambiance chaude" im Stade Velodrome anlässlich des Spiels gegen die vermaledeiten Pariser Hundeköpfe, wie es einmal mehr die nicht vorhandenen Fotos nicht beweisen können, nicht entgehen lassen. So wurde ich Zeuge eines Flaschenregens beim Einlaufen des PSG-Torwarts, der Bewunderung des Franzosen für pompöse deutsche Kompositionen (Orffs O Fortuna aus Carmina Burana), von Fangesängen, die sich im Wesentlichen mit verschiedenen Analtechniken, die man am verhassten Hauptstädter praktizieren will, auseinandersetzen und schlussendlich leider auch der 2:4-Niederlage von OM.
Um meinen neues Helden nachzueifern, habe ich es endlich auch mal geschafft, den knapp zehn Fußminuten entfernt gelegenen Fußballplatz aufzusuchen und am dortigen Training teilzunehmen. Resultat: Ich will ab sofort nur noch "Ballack" genannt werden. So wurde ich vorgestellt, so werde ich dort genannt, so spiele ich.
Um das beweisen zu können - und das ist die wirkliche Sensation des Tages - habe ich mir tatsächlich eine Kamera zugelegt, die in den nächsten Tagen ankommen sollte und mich von der schier erdrückenden Last des Schreibens erlösen wird.

Mit sportlichem Gruß,

euer Mischi