Sonntag, 8. Februar 2009

Das Streiken ist des Franzmann' Lust, oder: Alltägliches

Don't call it a comeback... oder doch? Wie dem auch sei, ein Monat Blogabstinenz und wiederkehrende Gesuche um die Wiederaufnahme der Schreiberei lassen mich nun vor einer kaum zu bewältigenden geistigen Aufgabe stehen: einen knappen Monat mit vielen interessanten Momenten und Erfahrungen zusammenzufassen.
Fangen wir mit der Arbeit an. Weiterhin kümmere ich mich um die Post unserer Kunden, erkläre sie ihnen bei einer Tasse Kaffee und scheitere daran, französische Kreuzworträtsel zu lösen. Dabei bleibt es aber nicht. Wie von mir gewünscht und gefordert, nehme ich nun auch verstärkt an den Individualgesprächen teil, erarbeite gemeinsam mit einer weiteren Person den Asylantrag, stelle Recherchen über die jeweilige Situation im Herkunftsland an, etc. Die direkte Konfrontation mit diesen Schicksalen ist immer wieder bewegend und führt mir jedes Mal wieder vor Augen, was für ein Leben wir in Europa führen dürfen. Während andere aus ihrer Heimat vor Krieg und Elend fliehen, oft alles verloren haben oder dieses hinter sich lassen, dann während einer wahnwitzigen Odyssee ihr Leben auf's Spiel setzen, um in das vermeintlich Sicherheit bietende Europa zu gelangen und dort weiterhin Schikanen ausgesetzt werden, leben wir in (Mittel-)Europa seit sechzig Jahren in Frieden, ohne es noch wirklich wertzuschätzen. Wir müssen keine Angst haben, dass unsere Dörfer morgen von wütenden Reitermilizen abgebrannt werden, wir ins Gefängnis gesteckt und gefoltert werden, weil wir unsere Meinung sagen, oder mit der Machete einen Kopf kürzer gemacht werden, weil wir einer anderen Ethnie angehören. Wir haben das Glück, dass unsere größten Sorgen sind, wo wir nun das billigste Flugticket für den nächsten Karibikurlaub herbekommen - und ausreichend Unternehmungen zur Ablenkung haben, um zu vergessen, dass genau diese Flüge, diese Plastiktüten, diese Kiwis aus Neuseeland auch ein Grund sind, dass Menschen aus anderen Teilen der Erde ihre Heimat verlassen müssen, weil sie durch eine Naturkatastrophe oder einen Krieg um das immer knapper werdende Wasser verwüstet wird.
Nun aber genug der Moralpredigt, sondern lieber einen Filmtipp, um von Arbeit zu Freizeit überzuleiten.
"Ein Augenblick Freiheit" - einer der besten Filme, die ich die letzten Jahre gesehen habe. Bewegend, witzig, realistisch. Läuft seit knapp zehn Tagen hier in Frankreich, und ich denke, in Deutschland wird das ähnlich sein. Also reingehen und packen lassen.
Der Franzmann wird im Moment seinem Ruf als demonstrations- und v.a. streikwütiges Volk vollauf gerecht. Höhepunkt war ohne Zweifel der 28. Januar, als allgemeine Arbeitsniederlegung auf dem Programm stand. Nix ging mehr, ich musste nicht arbeiten und habe den Tage auf der Terrasse genossen. Aber auch darüber hinaus: Circa viermal hat der gesamte ÖPNV gestreikt, mal aus diesem, mal aus jenem Grund und im Moment fährt morgens und nachmittags keine Métro, weshalb auch immer. Dann wird täglich munter demonstiert, mal sind's die Lehrer, dann die Unis, dann die Kurden ("Libérez Ocalan"), Palästinenser ("Israel, assassin!") oder Israelis ("Hamas, terroristes!"). In den Straßen ist also immer genug geboten.

Pro-Palästina-Demo vor der Präfektur

Was sich sonst hier abgespielt hat? Ich mach's kurz wie Kurt. Ein ganzer Sonntag in Aix-en-Provence, dieses provenzalischen Freiburgs, das sich so sehr von Marseille unterscheidet, dass man nicht glaubt, nur 45km gen Norden gefahren zu sein;

Der Cours Mirabeau in Aix

HipHopTheater und KinoBesuche; Fußballnachmittage, bei denen ich der einzige Weiße bin und kein Wort versteh, weil nur Arabisch gesprochen bzw. gebrüllt wird; Besuche auf dem "Marché aux Puces" im 15. Arrondissement, der bei jedem ordnungsliebenden Deutschen wohl nur Schreikrämpfe auslöst und auf dem ausschließlich krassen Krempel zu kaufen gibt; Geburtstage mit deutschen (teilweise sogar Freiburger) Erasmus-Studenten; immer wieder die Suche nach einem Studienplatz, und zu guter Letzt (auch wenn ich die andere Hälfte wohl eh vergessen habe): zwei Konzertbesuche, zum einen trat Ayo in den Docks des Suds auf, und unverschämterweise wurde dort am Eingang meine Kamera konfisziert,













zum anderen gestern Abend das Check the Rhyme Festival, wo mal Baggy-Dickies und NY-Caps an der Tagesordnung standen und Jeru the Damaja, The Beatnuts, Tha Liks und Lords of the Underground auftraten. Dazu noch ein paar "Bush Killa"-Parolen vom selbsternannten "Black Panther of HipHop" und "Hard Truth Soldier" Paris führten zu einem durch und durch gelungenen Abend, der diesmal leider wieder im einstündigen Heimmarsch endete (die letzten Mal hatte ich Glück und konnte trampen). Heute Abend steht für l'OM das entscheidende Spiel gegen Bordeaux an, und ich hoffe als inzwischen sogar mit Fan-Shirt ausgestatteter Supporter, dass die Angelegenheit im "Vél" genauso gut wie im Dreisamstadion gelöst wird. Kommende Woche besuche ich dasselbe sogar, wenn nämlich Frankreich - Argentinien spielt. Nicht nur die Hand Gottes, sondern auch Wusi wird mich bei dieser Gelegenheit unterstützen, den Grad meiner Französisierung beim Schmettern der Marseillaise zu überprüfen.

Also, aux aaaaaaarmeeeees!

Eure Frooonck


...und Diego