Dienstag, 23. September 2008

Staring through my rearview

Und weiter geht's mit der wilden Reise...

Nachdem mein erster Tag bei der Cimade fertig war, habe ich mir ein wenig das Zentrum rund um den Alten Hafen zeigen lassen und ein rendez-vous bei einer Bank vereinbart - bei gefühlten 35°C im Schatten, die in der Bank dank Klimaanlage in schlagartige Kälte umschlugen, ein nicht immer ganz einfaches Unterfangen.
Geschafft stattete ich einem der zahlreichen Olympique Marseille-Shops meinen ersten Besuch, staunte über 75 €-Trikots und ging wieder hinaus, wo auch schon die ersten biertrinkenden und grölenden Liverpool-Fans auf mich warteten. Der gemeine OM-Fan pöbelt dagegen lieber aus der sicheren Deckung, sprich dem fahrenden Auto, heraus. Eh recht beeindruckend, wie hier jeder Zweite Maghrebiner im mutmaßlich geklauten, blütenweißen OM-Trainingsanzug rumstolziert und am besten noch im OM-Café, das am exklusivsten Ort der ganzen Stadt liegt - direkt am Vieux Port -, sein Halal-Imbiss oder auch -Menü verspeist.
Nachdem jemand an der Bahnhaltestelle seine Fähigkeit zur Unaufmerksamkeit wohl allzu deutlich unter Beweis stellen wollte und mit einem lauten "Bong" angefahren wurde, ging es dann hoch in die rue Pierre Béranger, also nach Hause.
Kurzfristige Überlegungen, ins Stade Vélodrome waren an meiner Müdigkeit und den astronomischen Preisen gescheitert.
Das Ersatzprogramm war aber auch nicht allzu schlecht: In der knapp 35m von der Haustür entfernten Bar zusammen mit Toni und Monsieur Ludwig das Spiel im Fernsehen gucken. Zwar habe ich recht wenig davon verstanden, was sie mir erzählten, MIT ihnen habe ich mich aber trotzdem gut verstanden, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass die beiden trotz recht offentsichtlichen Alkoholikerdaseins noch ein paar Euro zum Ausgeben für einen armen, kleinen "allemäng" hatte. Monsieur Ludwig zeigte mir stolz seinen Ausweis mit Verweis auf seinen deutschen Nachnamen und Toni erzählte mir vom Europa-Park, den er einmal im Jahr besucht und von Freunden aus Strasbourg, die er ständig versuchte anzurufen, ohne jedoch zu reüssieren. Seine Nummer habe ich jetzt auch.
Der kommende Tag war das 20. Jubiläum meiner Geburt und nachdem ich das erste Mal seit zweieinhalb Wochen ansatzweise ausschlafen konnte (bis 10.00 Uhr...), öffnete ich das Fenster und bekam ein Ständchen à la Romeo & Julia dargeboten. Nur dass leider zwei Kerle dabei waren - Laurent, Martines Neffe und sein Kumpel, die Malarbeiten auf der Terrasse erledigten. Martine kam auch hinzu und es wurde kräftig geschunkelt.
Nach Abknutscherei zum Frühstück gab's ein opulentes Mittagessen, das aufgrund der Entertainer-Qualitäten Laurents sehr kurzweilig ausfiel - erstes Gesprächsthema war die Ernennung Marseilles zur europäischen Kulturhauptstadt 2013. Interessant dabei übrigens, dass ich ihn auf Italienisch besser verstand als auf Franzözisch oder wie man auch immer diese Mischung aus teutonischer Aussprache und provenzalischer Nuschelei nennen soll.
Am Nachmittag habe ich Erfahrungen mit Mikrowellen als Ofenersatz gesammelt, als ich mir meinen eigenen Geburtstagkuchen backte - den ich im Übrigen nicht alleine gegessen habe.
Um meine Existenz als Papst nicht ganz zu vergessen, stieg ich am Abend zur Notre Dame de la Garde auf, von der aus man einen schlichtweg beeindruckenden Blick über die Stadt hat.

So... jetzt genug der detaillierten Darstellung, geht mir selbst auf die Nerven...
Donnerstag weiß ich grad nicht mehr, Freitag kam Tillmann, mein Vor-Vorgänger, mit seinem Vater, der Kameramann beim RBB (glaube ich) ist. Bei der Cimade war eine wichtige Konferenz, die um ein Dekret ging, das die Arbeit der Cimade in den sog. Centres de Rétention - den Abschiebecamps - grundsätzlich in Frage stellt. Da ich aber noch nicht den Riesenüberblick habe, warte ich lieber mit näheren Beschreibungen. Den Samstag habe ich im Wesentlichen mit den beiden aus Berlin Gekommenen verbracht, was sehr nett und witzig war und mich der Stadt noch ein wenig näher brachte.
Am Sonntag sind sie mir dann aber zu früh los. Deshalb habe ich mit Leuten aus Martines Gemeinde hier zu Mittag gegessen. Die Versuche, einer Dame aus Bern, mit mir Schwiizerdütsch zu sprechen waren von derart wenig Erfolg geprägt, dass wir wieder auf Französisch umstiegen. Ihr Mann, nebenbei der Pfarrer, konnte zwar kaum noch laufen, war aber trotzdem so nett, mich im Auto in die Stadtmitte zu fahren.
Das war nämlich meine Aufgabe des Tages: das Meer. Und das ist nunmal gleichbedeutend mit Stadtmitte in Marseille. So bestieg ich eines der Leihfahrräder, brauste den Blvd. de la Libération runter, fuhr auf der Canebière weiter bis zum Vieux Port, von dort ging es vorbei am Fort St. Nicola und dem Pharo, bevor ich am Strand landete, das Meer genoß und beim Versuch, die Stranddusche einzuschalten, scheiterte. Abends saßen wir noch mit Gilles zusammen, meinem Quasi-Mitbewohner, bei dem ich maximal die Hälfte dessen, was er sagt, verstehe. Witziger Kerl isser.
Am Montag war nach der allmorgendlichen Küsschen-Runde wieder die Post bei der Cimade dran und am Nachmittag ging es dann zu einem unglaublichen coolen Bankangestellten, der es weder verstand, dass man bei einem Airconditioner nicht unbedingt gleich auf arktische Temperaturen schalten muss noch dass man mit Nicht-Muttersprachlern auch deutlich sprechen kann. Jetzt gilt die Auf-Gut-Glück-Taktik, dass er mir nichts angedreht hat. Muss morgen nämlich nochmal vorbei, weil man beim Franzosen ca. viertausend Formulare vorbeibringen muss, von deren Notwendigkeit man aber erst auf der Bank erfährt.
Heute morgen sind Tillmann und Vadder für fünf Tage in die Camargue abgedüst und ich war von 7.50 bis 19.50 für die Sache einer gerechteren Welt unterwegs. Den Abend habe ich mit dem hier zu lesenden Sermon verbracht.
Tschüssli Müsli

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